Onkel Josef und Tante Henni:
Staying Power

Onkel Josef und Tante Henni haben es bis zur diamantenen Hochzeit geschafft. Wie sie da auf dem Sofa saßen (Tante Henni Mitte achtzig, Onkel Josef schon fast neunzig) und die Frau von der Lokalzeitung ihr Foto machte, da sahen sie aus, als sei ihr Erfolgsgeheimnis tatsächlich ewige Liebe, gegenseitiger Respekt und die instinktive Anwendung komplexer Konfliktbewältigungsstrategien, dabei steckt dahinter eher das, was Darsteller in Erotikfilmen »staying power« nennen. Auch überkommene Rollenverständnisse und, zum richtigen Zeitpunkt, die Bereitschaft zur schlagkräftigen Verteidigung der eingespielten Formation waren hilfreich, um diesen sechzigsten Hochzeitstag gemeinsam zu erreichen. Und dass keiner von beiden vorher gestorben ist, war natürlich auch gut.

Auf meine Frage, wie sie beide so lange durchgehalten hätten, zuckte Onkel Josef nur die Schultern: »Mit ner andern war doch au nich besser.« Und da gab es nie irgendwelche Geschichten nebenher? »Ach, datt macht doch nur Ärger. Datt kommt immer irgendwann raus, und dann hasse wochenlang datt Gemecker und Gezeter. Datt bringt doch allet nix!« Und mit einem Blick auf die attraktive Fotografin fuhr er fort: »Ich bin fast neunzich. Wenn ich der da an den Hintern packe, lacht die und sacht, watt ist dat für'n rüstigen alten Herrn! Und wenn ich mich anstrengen würde, könnte ich noch rich-tich bei der landen. Und dann? Dann kann ich mir erssma mein Butterbrot abends selber machen. Datt lohnt nich!«

Wenn man Tante Henni fragte, was sie an ihrem Josef schätzt, erzählte sie immer die Geschichte von den Fußballfans.

Onkel Josef und Tante Henni betrieben eine Selterbude in der Nähe des Stadions, wo an Spieltagen natürlich immer Hochbetrieb war, da sich die Fans vor dem Spiel gern noch ein bisschen preiswertes Flaschenbier zuführten. Da regierte dann die große Klappe, und wenn gegnerische Fans auf einheimische trafen, konnte es ziemlich zur Sache gehen. »Und wir immer Logenplatz«, meinte Tante Henni, »da war immer wat geboten!«

Einmal aber wurde eine Grenze überschritten. Knallevoll kamen die Fans vom Stadion zurück und einige randalierten. »Ich weiß gar nich, ob wir gewonnen hatten oder verlorn, is auch egal«, erinnerte sich Tante Henni, »jedenfalls kommen da die vier Seger an und pöbeln, watt ich so doof gucken würde aus mei'm Fenster, und ich denk, sach ma besser nix, dann gehen die weiter, datt sind vier, die werden sich nich anne alte Frau vergreifen, abba da kommt der eine an, bestimmt einsneunzich, und sacht, wieso ich nich antworten würde. Und ich sach: Auf sonne bescheuerten Fragen gibbet keine Antwort, abba datt war dann auch nich richtich. Jedenfalls fängt der an von wegen alte Schachtel. Er hat watt anderes gesagt, aber du wirss nich erleben, datt ich datt in den Mund nehm, Junge! Und dann holt der aus mit seine Bierpulle und kippt mir datt Bier ins Gesicht. Der Josef sitzt hinten und hört mich schreien, und auf einmal schießt der nach vorne und ausse Tür raus und nimmt sich die vier vor. Zack, beim Ersten gleich mitten rein ins Vergnügen, der fällt um und hält sich die Nase. Dem Zweiten eine aufs Ohr und dem Dritten in den Arsch getreten, da schrie der Vierte schon nach seine Mama.«

Onkel Josef hörte die Geschichte nicht ohne Stolz. Immerhin war er zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung schon Mitte siebzig. »So etwas kann man sich nicht gefallen lassen«, sagte er, wenn auch nicht mit diesen Worten. Eher mit diesen: »Wer meine Olle anpackt, kricht auffe Fresse. Altes Gesetz.«

Groteskerweise erstatteten die vier »Opfer« Anzeige und Onkel Josef wurde vor Gericht gezerrt. »In der ersten Instanz habbich verlorn«, knurrte er. »Der Richter war sonn Grüner. Abba in der zweiten Instanz hab ich recht gekriegt.« Nicht zuletzt deshalb, weil da unter Vorsitz einer Richterin verhandelt wurde. Und Frauen haben für vieles Verständnis, so lange es aus Liebe geschieht.

Drei Jahre nach der diamantenen Hochzeit starb Tante Henni. Onkel Josef folgte ihr nur sechs Monate später.

 

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